Lewis und Clark Trail zurück 1805 — 1806
31. Tag: 11. September 2001 Glasgow — Malta
Ich habe trotz meiner Befürchtungen wegen der Lage des Zimmers hervorragend geschlafen. Ich bin auch bereits vor sieben Uhr wach. Also habe ich gute Chancen früh weg zu kommen. Ich lade meine Sachen wieder ins Auto ein und gehe ins Motel zum Auschecken. Hier haben sich einige Leute um den Fernseher in der Lobby geschart und ich sehe im Augenwinkel, daß ein Haus einstürzt. Wahrscheinlich wieder eine spektakuläre Sprengung. Auch höre ich noch etwas von World Trade Center, aber da habe ich mich wohl geirrt — dachte ich!
Ich checke aus und frage nach einem guten Platz fürs Frühstück. Das Oasis gleich in der nächsten Querstraße wird mir empfohlen. Na mal sehen, wie mir das gefällt. Die Bedienung ist sehr freundlich und das Frühstück schmeckt hervorragend. Am Nebentisch höre ich, wie sich eine Runde älterer Herren über Vietnam und andere ehemalige Krisenherde unterhalten, in die einst die USA involviert war. Seltsame Gespräche für das Frühstück denke ich noch.
Gegen halb neun bezahle ich und verlasse das Oasis wieder. Jetzt mache ich mich auf den Weg zu meiner schicksalhaften Straße vor 2 Jahren. Ich bin noch gar nicht weit gekommen, da höre ich im Radio, daß das World Trade Center von einem Passagierflugzeug getroffen wurde. Mir hat es in dem Moment die Sprache verschlagen und ich habe mich auf dem Highway mehr auf das Radio als auf die Straße konzentriert…
Dann wird berichtet, daß auch das zweite Gebäude von einem Flugzeug getroffen wurde und es wahrscheinlich kein Unfall war. Auch sind beide Gebäude kurz nach dem Aufprall eingestürzt. Bei diesen Nachrichten dreht sich mir echt der Magen. Irgendwie kann ich es fast nicht glauben was ich da höre!
Willow Creek Road, Montana
Wie ich dann auf meine Backroad abbiege überlege ich noch, ob ich überhaupt die Strecke fahren soll. Ich stelle mich für einige Zeit an den Straßenrand um den Liveberichten zuzuhören. Doch schließlich beschließe ich, doch die Strecke weiter zu fahren. Aber ich bekomme mehr vom Radio als von der Straße mit. Wenn ich mir vorstelle, daß ich wirklich überlegt hatte, ob ich nicht auch einen Abstecher nach New York machen soll um den Pfaden meines Schüleraustauschs vor mehr als 15 Jahren zu folgen…
Willow Creek Road, Montana
Das Aussteigen zum Fotografieren geschieht fast schon automatisch, immer mit einem Ohr am Radio. Die Sondersendungen gehen bis Mittag. Dann wird langsam damit begonnen, wieder Musik zu spielen. Aber hauptsächlich patriotische Lieder, die zeigen sollen, wie diese Nation trotz allem zusammenhält. Langsam realisiere ich, daß dies alles wirklich passiert ist und man lernt langsam damit umzugehen.
Mittlerweile bin ich auf den Backroads fast an den Ufern des Fort Peck Lake angekommen. Mein Plan ist, möglichst nahe am Ufer entlang zu fahren. Als erstes biege ich auf die NWR 213 ab. Hier wird die Strecke schon langsam rauher und ich fange an, mich wieder mehr auf die Straße zu konzentrieren. Zwar sind die Gedanken immer noch bei den Ereignissen in New York, aber langsam dringt die Gegenwart hier wieder in mein Bewußtsein.
Nach einem kurzen Stück biege ich ab auf die NWR 324. Auf dieser geht es auch nur ein kurzes Stück weiter, bis ich zur Abzweigung des Trail 37 komme. Dieser ist zwar dem Namen nach nicht in meiner Karte, aber nach GPS–Koordinaten müßte es die Strecke sein, die mich auf den Rücken des Plum Coulee führt. Am Anfang steht noch ein Schild, daß hier erst ab September Fahrzeuge erlaubt sind. Da habe ich ja richtig Glück gehabt. Später sollte ich noch erfahren, daß dies wegen der Jagdsaison ist, die Anfang September beginnt.
Trail 37, Montana
Auf dem Trail 37 geht es zuerst über ein kurzes Stück Ebene. Doch plötzlich stehe ich vor einem tiefen Battbech, dem Timber Creek. Die Straße führt gefühlt fast senkrecht die Wände der etwa 2 Meter hohen Schlucht hinunter und gleich wieder hinauf. Ich habe direkt Bedenken, daß mein Auto zu lang sein könnte und vorne und hinten aufliegen würde.
Trail 37 durch Timber Creek, Montana
Ich sehe mir die Sache einige Zeit an. Aber das Flußbett ist trocken und so lege ich den Vierradantrieb ein und wage das Experiment. Hätte ich doch nur eine Winde gekauft. Aber jetzt ist es zu spät. Hier muß ich durch. Ich fahre langsam über die Kante und rolle vorsichtig hinunter. Unten angekommen geht es gleich wieder fast senkrecht nach oben. Jetzt bin ich gespannt, ob das mein Wagen schafft. Doch, ich muß fast schon sagen wie immer, er meistert dieses Stück problemlos. Ich merke zwar, daß einmal kurzzeitig ein Rad durchdreht, aber mit dem Vierrad komme ich erstaunlich gut durch. Aber ich denke nicht, daß es geklappt hätte, wenn Wasser in dem Fluß gewesen wäre. Auf der anderen Seite stoppe ich kurz und mache noch ein Fotoaufnahme von dem Ganzen. Ich bin ja gespannt, wie die Kameraaufnahme geworden ist!
Trail 37, Montana
Dann geht es weiter über kurze Ebenen und fast senkrechte Anstiege auf die kleinen Bergrücken. An deren Grat geht es dann einige Meilen weiter. Teilweise in so bedenklicher Schräglage, daß ich schon befürchte, daß mein Auto abkippt. Aber auch das meistert mein kleiner Blazer ganz hervorragend. Langsam bekomme ich das Gefühl, daß ich wirklich das richtige Auto gekauft habe!
88 S10 Blazer auf Trail 37, Montana
Von dem Bergrücken hat man immer wieder eine tolle Aussicht auf die Landschaft und dem langsam im Hintergrund verschwindenden Fort Peck Lake. Bei der ersten Gelegenheit biege ich ab um wieder näher ans Ufer zu kommen. Plötzlich stehe ich vor einem Drahtzaun, der wie ein Tor ausgehängt und geöffnet werden kann zur Durchfahrt. Ein Schild warnt, daß hier keine Jäger erlaubt sind. Aber es steht nichts von verbotener Durchfahrt. Und ich weiß von anderen Reiseberichten, daß diese Art der Grundstücksabgrenzung in den wweniger befahrenen Gegenden als Ersatz für das Cattle Guard, die Stahlschienen im Boden, verwendet wird. Also öffne ich das Tor fahre hindurch und schließe es wieder.
Trail 37, Montana
Dann geht es weiter in der gleichen schönen und malerischen Landschaft. Ich passiere noch zwei weitere Gatter dieser Art ehe ich wieder auf eine Schotterpiste treffe. Nach meiner Karte muß ich hier wieder links weiter fahren und so folge ich der Straße. Auch hier sind keine Schilder, die einem die Durchfahrt verbieten.
Nachdem ich auf dieser Straße einen kleinen Hügel überquert habe und in das kleine Tal fahre, sehe ich rechts einen dieser zahlreichen als Haus umgebauten Wohnwagen. Wie ich weiter fahre, erkenne ich, daß die Straße mitten hindurch führt. Jetzt ist es schon zu spät um umzukehren. Außerdem war nirgends ein Verbotsschild zu sehen und so passiere ich langsam und vorsichtig das Haus.
Ein Hund springt bellend neben meinem Auto. Kurz nach dem Haus gibt es eine offene Durchfahrt. Hier ist ein ziemlich verwaschenes Schild, das lediglich Private Property zeigt. Normalerweise sind hier immer Zusätze wie „No Trespassing” oder ähnliches zu sehen, wenn der Besitzer keine Durchfahrer wünscht. Aber irgendwie ist mir das ganze doch unheimlich.
Ich rolle noch ein kurzes Stück weiter, dann stoppe ich um einen Blick in meine Karte zu werfen. Wie ich gerade dabei bin, meinen Standpunkt genauer zu bestimmen, sehe ich, wie ein Wagen das Haus verläßt. Na jetzt bin ich gespannt, ob ich Ärger bekomme…
Er stoppt neben meinem Wagen und erklärt mir, daß ich mich auf Privatbesitz befinde. Auf meine Frage, ob die Durchfahrt hier erlaubt ist, verneint er dieses und meint ich müßte mindestens zwei Privatbesitzschilder passiert haben. Auf meinen fragenden Blick wollte er wissen, wie ich denn auf die Strecke gekommen bin. Ich versuche ihm meinen Weg auf der Karte zu zeigen. Wie er sieht, daß ich Timber Creek überquert hatte, bekommt er richtig große Augen. Anscheinend haben vor dem sogar die Einheimischen Respekt.
Dann erklärt er mir, daß ich auf diesem Weg wahrscheinlich keines seiner Schilder gesehen hätte. Über den Weg von seinem Nachbarn gibt es keines mehr. Wir unterhalten uns noch ein bißchen und ich erzähle ihm von dem Trail, dem ich folge.
Dann frägt er mich, ob ich die Nachrichten gehört habe. Nur im Radio, aber noch nichts im Fernsehen, entgegne ich. Daraufhin lädt er mich zu einem Sandwich zu sich ein. Seine Frau ist zwar etwas überrascht, daß ich im Schlepptau ankomme, aber sie macht mir gleich ein Sandwich mit ein paar Chips und Banane. Auch etwas zum Trinken bekomme ich. Wir kommen richtig ins Gespräch, natürlich auch über die Ereignisse im Fernsehen. Es läuft ein Nachrichtensender, dem wir etwa eine Stunde gespannt lauschen. Dann unterhalten wir uns weiter. Sie setzen selbst etwas Likör und Wein an. Den muß ich natürlich unbedingt kosten. Ich probiere vorsichtig einen Schluck und es schmeckt wirklich hervorragend!
Es freut die beiden richtig, daß es mir so gut schmeckt. Sie wollen mir noch mehr anbieten, aber ich entgegne, daß ich noch fahren muß. Aber ehrlich gesagt hätte ich hier noch einiges mehr trinken können, so gut war das.
Dann fragt er mich, ob ich ein paar Coulees sehen will. Er kennt einige schöne Ausblicke, die ich so nie erreichen könnte. Ich willige freudig ein. Meine Kamera lasse ich allerdings im Wagen. Ich weiß schließlich nicht, wie er reagieren würde, wenn ich hier mit meinem ganzen Equipment aufkreuze. Dann geht es auf Strecken vorwärts, die meinen vorherigen in nichts nachstehen. Aber er hat einen Full Size Ford Pickup mit dem größten Motor den Ford je gebaut hatte, 450 cui, etwa 7 bis 8 Liter Hubraum — und Schaltgetriebe!
Hier in Montana ist das eher üblich und notwendig als im ziviliserten Osten. Wir fahren ein gutes Stück, dann haben wir den Rand der Schlucht erreicht. Er hat sein Fernglas dabei und er erzählt mir, daß normalerweise hier Wild zu sehen sein müßte.
Aber trotzdem daß wir mehr als eine halbe Stunde warten, zeigt sich kein Wild. Er ist etwas enttäuscht, aber ich sage ihm, daß die Landschaft schon so faszinierend ist. Dann fahren wir wieder zurück.
Zu Hause angekommen unterhalten wir uns noch weiter über alles mögliche. Er hat einmal eine Zeit lang Trucks gefahren. Aber schließlich ist er wieder hier gelandet, weil ihm das Leben in der Natur einfach besser gefällt. Das Land, auf dem sein Haus steht ist BLM Land. So wie ich es verstanden habe ist es ähnlich wie unser Pachtland. Dort hat er ein paar Kühe und Pferde.
In einer Schlucht steht auch eine Hütte. Dort hat er einen Gast, der jedes Jahr zur Jagdsaison sich mit Pfeil und Bogen aufmacht um zu jagen — nicht schlecht! Deshalb möchte er auch keinen Verkehr in dieser Gegend, damit sein Gast Ruhe hat.
Sonnenuntergang Backroad, Montana
Langsam geht es auf sechs Uhr zu und sie empfehlen mir, wenn ich die Strecke bis zur nächsten Ortschaft bei Tageslicht schaffen möchte, dann muß ich langsam losfahren. Mein ursprüngliches Ziel war Lewistown, wie vor zwei Jahren. Er empfiehlt mir jedoch nach Malta zu fahren, weil diese Strecke deutlich kürzer ist. Hier habe ich allerdings keines der großen Motels, muß mir also wieder ein kleines privates suchen.
Sonnenuntergang Backroad, Montana
So entschließe ich mich doch nach Lewistown zu fahren. Wir tauschen noch die Adressen aus, dann fahre ich los. Ich habe hier wirklich das Gefühl, neue Freunde gefunden zu haben. Leider haben sie keine E–Mail und so beschließe ich wenigstens eine Weihnachtskarte zu schreiben.
Sonnenuntergang Backroad, Montana
Ich folge seiner Beschreibung, die mich auf den üblichen Schotterpisten wieder in Richtung Zivilisation führt. Kurz vor Sun Prairie muß ich mich entscheiden, ob ich nach Malta oder Lewistown will. Aber wie ich mir die Sonne so anschaue, beschließe ich doch dem Rat zu folgen und nach Malta zu fahren.
Sonnenuntergang Backroad, Montana
Die Sonne geht dann recht bald unter und ich fahre das letzte Stück sogar in der Nacht. Jetzt sehe ich das Wild, das sich unter Tags nicht zeigen wollte — und das direkt vor meinem Auto. Aber zum Glück bin ich nicht schnell unterwegs und so passiert nichts.
Sonnenuntergang Backroad, Montana
Gegen halb neun bin ich schließlich in Malta. Ich fahre das gesamte Örtchen ab, aber nur ein Motel sieht mir wirklich halbwegs vernünftig aus — das Riverside Motel. Hier gibt es zum einen Motelzimmer als auch Stellplätze für Camper. Im Büro herrscht richtig Andrang. Ich bin der dritte in der Reihe.
Sonnenuntergang Backroad, Montana
Auch hier sind natürlich die Ereignisse des Tages das Gesprächsthema. Einer meint noch, ob wir wissen, welcher Tag heute ist. In der amerikanischen Schreibweise ist 11. September 9–11, die Nummer für Notrufe. Diese Assoziation hatte ich bisher noch nicht. Und anscheinend auch die anderen im Raum nicht.
Nach einiger Wartezeit bin auch ich an der Reihe. Die Frau im Büro ist vermutlich auch die Besitzerin. Sie hat ein Gehgestell und man merkt sichtlich, wie anstrengend das Ganze für sie ist. Aber sie ist sehr selbstbewußt und will sich nicht helfen lassen.
Wie sie sieht, daß ich aus Deutschland komme, bekommt sie richtig strahlende Augen. Sie erzählt mir, daß sie in den fünfziger Jahren in Deutschland war mit ihrem Mann. Damals hat sie viele der Hummelfiguren eingekauft. Während sie meine Kreditkarte durch den Leser schiebt, bittet sie mich, ihr Haus zu betreten und mir im Hinterzimmer ihre Sammlung zu betrachten. Ich frage noch einmal nach, ob ich wirklich einfach in ihr Haus gehen soll. Schließlich kennt sie mich nicht. Aber sie muß wirklich ein großes Menschenvertrauen haben.
Während ich mir die Figuren in der Glasvitrine betrachte bleibt sie weiterhin vorne. Nachdem ich alles gesehen habe gehe ich wieder vor und beglückwünsche sie zu ihrer Sammlung. Wir unterhalten uns noch ein bißchen. Dann frage ich, wie lange das Restaurant nebenan auf hat. Bis zehn Uhr sollte es eigentlich kein Problem sein. Das müßte ich noch schaffen. Ich räume meine Sachen aufs Zimmer, dann fahre ich los.
Doch wie ich ankomme, wird gerade das Licht ausgemacht. Also bleibt mir nichts anderes übrig, als nach einem anderen Lokal zu suchen. Aber ich finde in der ganzen Stadt nichts was geöffnet hat und mir zusagen würde. Also fahre ich unverrichteter Dinge zurück ins Motel und nehme mein restliches Obst aus Missoula mit aufs Zimmer. Schließlich muß ich das auch noch irgendwann Essen, bevor es verschimmelt. Vor allem die Orangen, die ein paar Tage im Schmelzwasser meines Eises lagen, dürften sonst bald verschimmelt sein. Im Fernsehen gibt es dann sogar noch den Weather Channel, das hätte ich hier wirklich nicht erwartet. Alles in allem kann man das Motel fast schon als Geheimtipp werten, auch der Preis ist moderat. Gegen elf Uhr gehe ich ins Bett und schlafe auch gleich ein.
- Besichtigungen
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- Allgemein
- Frühstück: Oasis, Glasgow
- Abendessen: —
- Motel: Riverside Motel, Malta
- Tagesetappe: 134 Meilen